Liebe Leserinnen, liebe Leser, das zu Ende gehende Jahr war in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderes: Andauernde Corona-Krise, Lockdowns, aufflammende Inflation und zum Teil massive Störungen der globalen Lieferketten, um einige negative Stichpunkte anzuführen. Aber es gab auch positive Entwicklungen, denn vor allem die US-Aktienmärkte zeigten sich unbeeindruckt von diesen Einflussfaktoren. Jenseits des Atlantiks könnte 2021 als das Jahr der Allzeithochs in die Börsengeschichtsbücher eingehen. Schließlich verbuchte der S&P 500® bis Anfang Dezember insgesamt 76 neue Rekordstände. Da die amerikanischen Standardwerte zudem das Kunststück vollbrachten, bis Ende November in jedem Monat in „uncharted territory“ vorzustoßen, war es besonders in den USA ein recht schwankungsarmer und damit sorgenfreier Aktienjahrgang. Ob dies im neuen Jahr so bleiben wird, steht auf einem ganz anderen Blatt – wir werden es untersuchen! In Deutschland bleibt neben dem Allzeithoch von 16.290 Punkten vor allem die DAX®-Indexerweiterung von 30 auf 40 Mitglieder in Erinnerung. Möglicherweise entdeckt auch die neue Bundesregierung die Aktie als Baustein für die Altersvorsorge.
DAX® (Annually)
5-Jahreschart DAX®
Prognosetreffer: Anspruch und Ansporn zugleich
Letzteres ist absolut begrüßenswert. Ob die Ampel-Koalitionäre damit aber ein gutes „Markttiming“ besitzen, auch das werden auf den kommenden Seiten hinterfragen. Erste Zweifel lassen dabei die Rekordzuflüsse in die Assetklasse Aktien der letzten 12 Monate aufkommen. In der Konsequenz ist der Informationsbedarf vermutlich stärker ausgeprägt denn je! Dem Anlegerwunsch nach Orientierung im Finanzdschungel tragen wir mit dem großen „Technischen Jahresausblick“ der HSBC Rechnung – übrigens der 16. seiner Art. Da uns der Servicegedanke besonders am Herzen liegt, veröffentlichen wir unseren Blick in die „vielzitierte Glaskugel“ so früh wie niemals zuvor. Bleibt Anleger*innen 2022 die beschriebene Ereignisdichte erhalten? Setzt sich die Rekordrally nahtlos fort? Wo lauern die größten Überraschungspotentiale oder gar Gefahren? Bei der Beantwortung der drängendsten Fragen lesen wir ausdrücklich ein wenig „Kaffeesatz“. Das Rückgrat unseres Jahresausblicks für die wichtigsten Assetklassen bilden aber anerkannte Verfahren der Technischen Analyse. Freuen Sie sich darauf! Die Prognosetreffer aus dem letzten Jahr – z. B. „DAX®-Kursziel von 15.500 Punkten“ bzw. „zweigeteilter Aktienjahrgang“ um nur zwei zu nennen – sind uns dabei Anspruch und Ansporn zugleich.
DAX® (Annually)
Steigendes Risiko eines Fehltritts
Das schwächere 2. Börsenhalbjahr sorgt dabei möglicherweise für einen Vorgeschmack. So gleichmäßig wie vor allem die US-Märkte in den vergangenen 12 Monate zulegen konnten, dürfte es 2022 nicht weitergehen. Investoren sollten das bekannte Buffet-Zitat: „Du musst nur sehr wenige Dinge in Deinem Leben richtigmachen, solange Du nicht zu viele falsch machst“ deshalb als mahnenden Zeigefinger verstehen. Schließlich dürfte das Risiko eines Fehltritts deutlich höher als im vergangenen Jahr sein! Als argumentativen Einstieg in unseren Jahresausblick wählen wir den Jahreschart des Dow Jones® und setzen damit unsere Tradition der Analyse sehr hoher Zeitebenen fort. Dadurch lassen sich oftmals die großen Trends identifizieren, welche Investoren im hektischen Tagesgeschäft gern mal aus den Augen verlieren. Vor Jahresfrist hatten wir auf die Bedeutung der besondere Jahreskerze 2020 in Form eines sog. Außenstabs als strategischen Kurstreiber hingewiesen (siehe Chart). Auf Basis der Dow-Daten seit 1897 folgen statistisch auf ein solches „outside year“ mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 % weitere Anschlussgewinne von durchschnittlich 13 %. Diese Steilvorlage haben die US-Standardwerte 2021 lehrbuchmäßig genutzt.
Dow Jones Industrial Average® (Annually)
5-Jahreschart Dow Jones Industrial Average®
Jahreschart: Die großen, strategischen Leitplanken
Beim DAX® lag sogar ein doppelter Außenstab – auf Jahres- und auf Quartalsbasis – vor. Diesen zweifachen Rückenwind haben die heimischen „blue chips“ vom Start weg genutzt und das 1. Quartal 2021 zum stärksten des Jahres gemacht. Diese kleine Rückblende soll Ihnen, liebe Anlegerinnen und Anleger, die hohe Zuverlässigkeit des Phänomens Außenstab aufzeigen. Es lohnt sich also – gerade in den hohen Zeitebenen – nach „outside candles“ Ausschau zu halten. Im Vergleich zum besonderen Jahr 2020 kommt die Jahreskerze von 2021 relativ „unspektakulär“ daher. Der Dow Jones® notiert im Dunstkreis der Trendlinie, welche die Hochpunkte von 1929 und vom Jahrestausendwechsel 1999/2000 verbindet (siehe Chart). Im neuen Jahr wird besagter Trend von 33.392 Punkte auf 35.050 Punkte ansteigen. Das Ausloten dieser ultra-langfristigen Trendlinie verdeutlicht, dass die Rally seit 2009 die US-Märkte bereits sehr weit nach Norden geführt hat. Auf der Unterseite bilden indes die Extrempole der letzten beiden Jahre (30.637/29.856 Punkte) zusammen mit der 261,8%-Projektion der Rally von 1974 bis 2000 (29.840 Punkte) sowie dem entsprechenden Pendant des Hausseimpulses von 1932 bis 2000 (30.697 Punkte) eine absolute Kernhaltezone, welche als „Katastrophen-Stopp 2022“ prädestiniert ist.
Dow Jones Industrial Average® (Annually)
Noch offene Kursziele, aber…
Trotz neuer Allzeithochs fallen die zurückliegenden 12 Monate hierzulande deutlich unspektakulärer als das Vorjahr aus. Gemessen an der historisch hohen Hoch-Tief-Spanne des Jahres 2020 von mehr als 5.500 Punkten ist das aber keine große Überraschung. Dennoch konnte der DAX® aus dem „Kaufsignal erster Güte“ in Form eines Spurts über die fast deckungsgleichen Hochs der Jahre 2017 bis 2020 bei rund 13.500 Punkten erwartungsgemäß Kapital schlagen. Mit dem Jahrestief 2021 (15.311 Punkte) wird auch im fünften Jahr die Bedeutung dieser Schlüsselzone untermauert (siehe Chart). Bei deren Rebreak würde das Aktienbarometer echten Schaden nehmen, sodass sich die Marke von 13.500 Punkten als strategische DAX®-Absicherung anbietet. Aber es gibt auch positive Botschaften: Anleger*innen können die Kursentwicklung der letzten Jahre als Schiebezone zwischen 10.300 und 13.500 Punkten interpretieren. Aus der Höhe der Tradingrange ergibt sich ein rechnerisches Kursziel von 16.700 Punkten, welches noch ein wenig „Luft nach oben“ lässt. Eingefleischte Bullen fassen die Schiebezone aufgrund des Pullbacks von 2020 möglicherweise noch breiter: Konkret zwischen 8.200 und besagten 13.500 Punkten, woraus dann sogar gut 5.000 Punkte Anschlusspotential resultieren.
DAX® (Annually)
Marktbreite: Der (Aktien-)Motor stottert
Damit wir nach der Analyse der Jahrescharts nicht zu optimistisch klingen, erfolgt der unmittelbare Tritt auf die Euphoriebremse. Wir dämpfen die Erwartungshaltung mit einem Blick auf die Marktbreite. Dass Anleger schnell und unkompliziert mit Hilfe unserer Analysemethode in die Lage versetzt werden, eine große Anzahl von Aktien zu überprüfen, zählt zweifelsohne zu den wichtigsten Stärken der Technischen Analyse. Anhand der dadurch gewonnenen Eindrücke können Investoren entscheiden, ob eine grundsätzlich gute Marktphase vorliegt, in der die Flut alle Boote hebt, oder ob der Wind eher von vorne kommt. Bei der Erstellung des „Technischen Jahresausblicks“ gehört die Analyse der Marktbreite für uns deshalb zu den absoluten Pflichtaufgaben. Beginnen möchten wir unsere Einschätzung der grundsätzlichen Marktverfassung mit dem Blick auf den ältesten Marktbreiteindikator überhaupt: Die Advance-/Decline-Linie. Dieser Marktbreitemaßstab ergibt sich aus dem Saldo von gestiegenen und gefallenen Aktien für alle an der NYSE notierten Papiere. Trotz des erneuten Rekordstandes trägt die Entwicklung der letzten Monate mehr und mehr die Züge einer Distributionsphase (siehe Chart). Entsprechend ist die Marktbreite nicht mehr unumwunden positiv zu werten.
Advance-/Decline-Linie NYSE (Daily)
Marktbreite: Dunkle (Divergenz-)Wolken
Vereinfacht ausgedrückt ist eine Aufwärtsbewegung solange als gesund zu bezeichnen, wie diese von der Mehrzahl der Aktien getragen wird. Typisch für die Spätphase einer Hausse ist dagegen, dass nur noch wenige hochkapitalisierte Titel den zugrundeliegenden Index auf neue Hochstände ziehen, während die Masse der Indexmitglieder bereits zurückbleibt. Eine solche divergente Entwicklung ließ sich beispielsweise jeweils im Vorfeld der beiden großen, oberen Marktwendepunkte von 2000 und 2007 feststellen. Das Thema „negative Divergenz“ ist die ideale Überleitung zur Advance-/Decline-Linie für die an der Nasdaq® notierten Technologietitel, denn die letzten Rekordstände wurde hier von Seiten des ältesten Marktbreitebarometers nicht mehr bestätigt (siehe Chart). Die Entwicklung des Jahres 2021 muss vielmehr sogar als Topbildung interpretiert werden. Allen Allzeithochs der Technologiewerte zum Trotz, notiert der Saldo aus gestiegenen und gefallen Aktien sogar auf dem niedrigsten Stand des Jahres! Die Schwäche seitens der Advance-/Decline-Linie liefert somit ein frühes Warnsignal: Ein entscheidendes Zugpferd und ein elementarer Treiber der Aktienmarktrally könnte im neuen Jahr demnach wegbrechen.
Advance-/Decline-Linie NASDAQ (Daily)
Akute Fehlausbruchsgefahr
Eingetrübte, weil abnehmende Marktbreite. Eine wichtige Bestätigung liefert in diesem Zusammenhang der Kursverlauf des Value Line Arithmetic Index. Dabei handelt es sich um ein marktbreites US-Aktienbarometer. Die mehr als 1.600 Index-Mitglieder werden gleichgewichtet, d. h. es wird nach dem Motto: „one stock, one vote“ verfahren. Damit sorgt das Aktienbarometer für ein Gegengewicht zu einer Vielzahl anderer Indizes, welche regelmäßig nach der Marktkapitalisierung der enthaltenen Papiere gewichtet werden. Der Ausflug in fünfstelliges Kursterrain erwies sich von kurzer Dauer, was die Haltezone aus der 38-Wochen-Linie und einer Aufwärtstrendlinie (akt. bei 9.608/9.569 Punkten) wieder in den Mittelpunkt rückt. Im Ergebnis besteht eine latente „false break“-Gefahr. Da auf solche Fehlausbrüche oftmals schnelle, dynamische Korrekturen erfolgen, ist derzeit Vorsicht die erste Anlegerpflicht. In die gleiche Kerbe schlägt der MACD, der jüngst an seiner Signallinie scheiterte und damit ein „bullish failure“ ausgebildet hat. Per Saldo droht damit die Kreuzunterstützung aus dem Julitief (9.087 Punkte) und einer weiteren Trendlinie (akt. bei 8.996 Punkten) unter Druck zu geraten. Deren Bruch würde sogar eine Topbildung komplettieren.
Value Line Arithmetic Index (Weekly)
5-Jahreschart Value Line Arithmetic Index
Objektive Auswertung: Ernste Kratzer
Wichtigste Botschaft an dieser Stelle: Das Lösen von der üblichen Gewichtung anhand der Marktkapitalisierung fördert ein deutlich schwächeres technisches Gesamtbild an die Oberfläche. Offensichtlich sind es wenige, hochkapitalisierte Titel, die die bekannten Aktienindizes (noch) stützen, während die breite Masse der Aktien bereits ein anderes Bild zeigt. Eine solche Situation ist typisch für die Spätphase einer Hausse. Diese Erkenntnis bringt uns zu einem ganz elementaren Vorteil der Technischen Analyse zurück, denn mit Hilfe unserer Analysemethodik können Anleger*innen schnell viele Aktien untersuchen. Deshalb führen wir regelmäßig eine objektive Auswertung anhand des Momentums, der 200-Tages-Linie und der Relativen Stärke (Levy) im „HSBC Daily Trading“ durch. Dabei überprüfen wir, wie viele Einzelwerte aus den drei wichtigsten Anlageregionen Deutschland, Europa und USA sich – gemessen an den drei o. g. Kriterien – in einem Haussetrend befinden. Ein positives Momentum, ein Kurs oberhalb der meistbeachteten Glättungslinie sowie ein RSL-Wert von größer als 1 dienen dabei als Maßstäbe. Mit Blick auf die nebenstehende Tabelle dürfen wir eine ganze Reihe von Erkenntnissen festhalten.
Marktbreite (Daily)
5-Jahreschart Marktbreite
Abnehmende Marktbreite, Hindenburg-Omen …
So wackelt in den USA die 50 %-Schwelle, welche die Demarkationslinie zwischen einer Hausse- und einer Baissephase darstellt. In Europa wird diese Hürde schon länger gerissen, d. h. diesseits des Atlantiks befindet sich die Mehrheit der Einzelwerte nicht mehr im Aufwärtsmodus. Dabei fördert unsere objektive Auswertung für die deutschen „blue chips“ sogar ein schwächeres Bild als für die europäischen Pendants zu Tage. Die spannendste Erkenntnis kommt aber aus Übersee: Für den S&P 500® verbleiben die Prozentsätze deutlich unter den historischen Hochs vom April 2021. Seinerzeit notierten über 95 % aller Einzelwerten oberhalb ihrer jeweiligen Glättungslinien der letzten 200 Tage bzw. verfügten über eine Relative Stärke (Levy) von größer 1. Alle seither in den USA erzielten Allzeithochs wurden also mit einer abnehmenden Marktbreite erreicht. Der Grad an Selektivität nimmt demnach deutlich zu. Ende November kam es darüber hinaus zu einer Reihe sog. „Hindenburg-Omen“. Insgesamt fünf Bedingungen müssen für dieses technische Warnsignal erfüllt sein. Am wichtigsten ist das gleichzeitige Auftreten einer hohen Anzahl von Einzelwerten mit neuen 52-Wochen-Hochs und -tiefs, worin sich eine tiefe Marktzerrissenheit widerspiegelt.
Marktbreite (Daily)
5-Jahreschart Marktbreite
… offensive Positionierung: ein gefährlicher Cocktail
Die amerikanische Privatanlegervereinigung American Association of Individual Investors (AAII) zitieren wir im „HSBC Daily Trading“ regelmäßig mit der von ihr erhobenen wöchentlichen Sentimentumfrage. Die AAII veröffentlicht zusätzlich auf Monatsbasis eine Erhebung zur Vermögensallokation amerikanischer Privatanleger. Per Ende November verfügen diese über eine Aktienquote von über 71 %, während sie zu jeweils gut 14 % in Bonds und Cash investiert sind. Erstere ist die höchste seit Dezember 2017 und auch im historischen Kontext ist eine Aktienquote oberhalb der 70 %-Marke recht ambitioniert. Da der Cash- bzw. der Bond-Anteil zudem niedrig ist, sind die US-Privatinvestoren derzeit sehr offensiv unterwegs. Eventuelle Korrekturen sollten deshalb auf fruchtbaren Boden fallen. Wenngleich die Allokations-Umfrage unter Timing-Aspekten auf der Unterseite noch wesentlich besser funktioniert. Schließlich wurden die beiden großen Markttiefs dieses Jahrtausends 2003 und 2009 lehrbuchmäßig durch entsprechende Aktienquotentiefs angezeigt. In die gleiche Kerbe schlägt die „Reuters Asset Allocation Poll“. Auch hier liegt das Aktienexposure so hoch wie zuletzt Ende 2017. Von dieser Basis aus sind weitere Zugewinne alles andere als ein Selbstläufer.
AAII Vermögensallokation Aktien (Monthly)
Keine übertriebenen Renditeerwartungen
Aufgrund immer neuer Rekordstände sowie der grundsätzlichen Haussephase seit 2009 gewinnt vielmehr ein gleichermaßen striktes wie stringentes Risikomanagement eindeutig an Bedeutung – nicht nur 2022, sondern generell. Dieser Grundüberzeugung möchten wir mit einer simplen mathematischen Beispielrechnung Nachdruck verleihen. Nebenbei sorgt unser Exkurs (hoffentlich) für eine realistische Erwartungshaltung auf Investorenseite. Vermutlich stimmen Sie überein, dass das Jahr 2009 die untere Trendwende nach der Finanzmarktkrise definiert. Ausgehend vom Eröffnungskurs 2009 (903 Punkte) stieg der S&P 500® im Verlauf der imposanten Rally der letzten Jahre bis Anfang Dezember 2021 auf 4.538 Punkte. Das entspricht einem Wertzuwachs von über 13 % p.a. Doch selbst diese Richtschnur toppen die amerikanischen Standardwerte im laufenden Jahr mit einem Plus von 20 % nochmals! Trotz aller Marktturbulenzen ist die Wertentwicklung seit 2009 somit fast zu schön um wahr zu sein. Schließlich verdoppelt sich der Indexstand bei einer Wachstumsrate von 13 % in weniger als sechs Jahren. Nach neun Jahren steht bereits eine Verdreifachung zu Buche. Hüten sie sich davor, diesen Anstiegswinkel der letzten Jahre für „bare Münze“ zu nehmen und einfach fortzuschreiben.
S&P 500® (Quarterly)
12.000 bis zum Dekadenende? – Unwahrscheinlich!
Wenn Anleger für den Rest der Dekade einen ähnlich idealtypischen Verlauf – sprich einen Kursertrag von 13 % p.a. – unterstellen, dann stünde der S&P 500® Ende 2024 bei 6.500 Punkten, Ende 2029 wäre es sogar ein Indexstand von 12.000 Punkten. Inwieweit eine Fortsetzung des Sprints der letzten Jahre bzw. ein solches Kursplus realistisch ist, muss jeder Marktteilnehmer mit sich selbst ausmachen. Ungeachtet möglicher charttechnischer Weichenstellungen plädieren wir jedoch dafür, dass sich die „eitel Sonnenschein“-Phase der letzten dreizehn Jahre bis zum Ende der Dekade nicht fortsetzen wird. Vielmehr gehen wir in Zukunft von deutlich geringeren Aktienerträgen aus! Gleichzeitig düften die Marktschwankungen zunehmen, sodass ein sinnvolles Risikomanagement an Bedeutung gewinnt. Eine realistische Erwartungshaltung für die nächsten Jahre – inklusive einer höheren Volatilität – stellen unter dem Strich Kernargumente für den Einsatz von strukturierten Produkten dar. Schließlich lassen sich auch in Seitwärtsphasen mit Discountern oder Aktienanleihen positive Erträge erzielen. Wenn die Produktparameter dabei im Einklang mit den wichtigsten Chartmarken stehen, umso besser!
S&P 500® (Quarterly)
Die nächste Spezialkonstellation
Die zuletzt angeführte mathematische Beispielrechnung verdeutlicht wie gut die letzten Jahre trotz aller Marktschwankungen unter dem Strich doch waren. Letzteres hat die Bewertungen in die Höhe getrieben. Was sich erst einmal nach einem fundamentalen Thema anhört, findet auch technisch seinen Niederschlag. Doch vorher noch ein kleiner (positiver) Exkurs: Das Phänomen „Außenstab“ hat sich zu Jahresbeginn 2021 als der erwartete Kurstreiber erwiesen. Auf Monatsbasis liegt beim S&P 500® sogar ein doppelter „outside months“ vor, denn sowohl die September- als auch die Oktoberkerze haben die Leitplanken der Vormonatspendants gesprengt (siehe Chart). Auf Basis der Daten seit 1928 gab es insgesamt sechs solcher doppelten Außenstäbe. Es handelt sich also um ein seltenes, charttechnisches Phänomen. Drei Monate nach dem Auftreten dieses Chartmusters liegen die amerikanischen Standardwerte bei einer Trefferquote von 67 % im Durchschnitt 4,71 % im Plus. Nach sechs Monaten beläuft sich der Kurszuwachs sogar auf 11,22 %, wobei der S&P 500® nur in einem von sechs Fällen Kursverluste verkraften musste (Trefferquote: 83 %). Zu Jahresbeginn könnte der Aktienmarkt deshalb noch von dem beschriebene doppelten „outside months“ profitieren.
S&P 500® (Monthly)
Trendkanal als Taktgeber
Die langfristige Chartbetrachtung untermauert darüber hinaus den Basishaussetrendkanal der letzten Dekade (Begrenzungen akt. bei 4.547 bzw. 3.349 Punkten). Nach der fulminanten Rally seit März 2009 gelang den US-Standardwerten im Verlauf des Jahres 2021 das Kunststück, nochmals eine Trenddynamisierung auf das Börsenparkett zu legen. Aus Bullensicht muss dieser Ausbruch nun aber jeden Monat bestätigt werden. Mit anderen Worten: Ein Rebreak der Marke von 4.500 Punkten – verbunden mit einem Rückfall in den angeführten, langfristigen Trendkanal – sorgt aus charttechnischer Sicht für ein hartes Bremsmanöver (siehe Chart). Ein Abgleiten unter das Tief des Außenstabs vom Oktober (4.279 Punkte) würde dem S&P 500 einen weiteren Nackenschlag verpassen. Spätestens dann müssen Investor*innen von einem nachhaltigen Rückfall in den Basisaufwärtstrendkanal ausgehen. Die alte Tradingweisheit: „was es nach oben versucht hat, und gescheitert ist, versucht es in der Folge nach unten“, liefert dann eine wichtige Orientierungshilfe. Selbst eine scharfe Korrektur – inklusive eines Auslotens der Kumulationszone aus der 38-Monats-Linie (akt. bei 3.431 Punkten), dem „Vor-Corona-Hoch“ bei 3.394 Punkten sowie der unteren Trendkanalbegrenzung – erscheint dann möglich.
S&P 500® (Monthly)
„Bewertung“ – auch technisch ambitioniert
„Manchmal passiert lange Zeit nichts und dann alles auf einmal!“ Möglicherweise geht dieses Zitat auf Lenin zurück – dürfte dabei aber wohl kaum den Aktienmarkt und schon gar nicht den amerikanischen S&P 500® im Blick gehabt haben. Doch eine negative Weichenstellung besitzt das Potenzial einen dynamischen Korrekturimpuls auszulösen, zumal seit dem „Corona-Tief“ vom März bei 2.192 Punkten keine nennenswerte Atempause mehr stattgefunden hat. Das Ausmaß einer möglichen Atempause wird noch durch einen zusätzlichen Aspekt beeinflusst: die erreichten Bewertungsrelationen. Eigentlich ein fundamentales Kriterium lässt sich das Thema „Bewertung“ technisch an diversen quantitativen Indikatoren festmachen. So notiert beispielsweise der RSI im überverkauften Terrain und weist zudem seit dem Jahresultimo 2017/18 eine massive negative Divergenz aus. Gleichzeitig notiert der MACD auf absoluten Rekordniveaus, denn der Trendfolger hat die alten Hochs von 1999/2000, 2007 und 2018 regelrecht pulverisiert. Um zu verdeutlichen wie heißgelaufen die gegenwärtige Situation ist, haben wir in den Verlauf des MACD seit 1996 einen Regressionskanal gelegt. Beide Linien des Trendfolgers notieren inzwischen außerhalb des entsprechenden Regressionskanals (siehe Chart).
S&P 500® (Monthly)
Überkauft, überkaufter, Technologiesektor
Der Indikator weicht damit um mehr als 2 Standardabweichungen vom Mittelwert ab. Für die MACD-Linie sind es aktuell sogar 3 Standardabweichungen. Beim Thema „Rekordüberkauftheit“ kommen Anleger am Technologiesektor im Allgemeinen und am Nasdaq Comp. im Speziellen nicht vorbei. Auf der reinen Preisachse wurde zuletzt sogar die 261,8%-Fibonacci-Projektion des 2020-Kurseinbruchs (15.027 Punkte) übertroffen. Auf der Indikatorenseite ist der RSI – analog zu den US-Standardwerten – extrem überhitzt bzw. weist eine negative Divergenz aus. Erstmalig ist der Oszillator Anfang 2017 in seine obere Extremzone vorgestoßen. Über einen Zeitraum von nun fünf Jahren signalisiert der RSI somit immer wieder eine heißgelaufene Marktverfassung. An dieser Stelle gibt es eine interessante Parallele: Ende der 1990er-Jahre war der Nasdaq Comp. ebenfalls über einen Zeitraum von fünf Jahren „überkauft“ ehe die Technologieblase tatsächlich platzte. Der MACD unterstreicht die aktuelle Extremkonstellation. Schließlich notiert der Trendfolger deutlich höher als im Jahr 2000 und zudem außerhalb des Regressionskanals der letzten gut 25 Jahre. Ein Unterschreiten des Oktobertiefs bzw. des alten Allzeithochs vom Februar bei 14.182/14.175 Punkten dient dabei als ein erster Signalgeber auf der Unterseite.
Nasdaq Composite Index® (Monthly)
5-Jahreschart Nasdaq Composite Index®
Bollinger Bänder: Die nächste Extremkonstellation
Eine abnehmende Marktbreite, massiv heißgelaufene Indikatoren, eine offensive Positionierung … wenn es in einer solchen Situation zu einer Korrektur kommt, dann müssen Anleger*innen vermutlich mehr als das kurze Durchatmen des vergangenen Jahres einkalkulieren. Wir sind also wieder bei dem vermeintlichen Lenin-Zitat. Beim Thema „droht eine Korrektur ernstzunehmenden Ausmaßes“ haben wir noch einen weiteren argumentativen Pfeil im Köcher: die Bollinger Bänder! Beim DAX® liegen auf Wochenbasis die Begrenzungen des Volatilitätsindikators extrem dicht zusammen (siehe Chart). Im unteren Teil des Charts tragen wir direkt den Abstand zwischen oberem und unterem Bollinger Band ab. Bei genauer Betrachtung liegen die Bänder sogar so dicht beieinander wie niemals zuvor in der bis 1988 zurückreichenden DAX®-Historie. Die beschriebene Extremkonstellation stellt den idealen Nährboden dafür dar, dass der nächste Bewegungsimpuls schnell, dynamisch und nachhaltig ausfallen wird. Da es gerade bei der Volatilität eine „Rückkehr zum Mittelwert“ gibt, begünstigt der historisch geringe Abstand sprunghafte Handlungen. Entsprechend dürfte 2022 stürmischer verlaufen als die zurückliegenden 12 Monate (wird fortgesetzt).
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