Powell kann den Markt nicht überzeugen
Mein Eindruck ist: Gestern hat Fed-Chair Jay Powell alles getan, so falkenhaft zu klingen wie nur möglich. Und er hatte nicht nur Worte, um den Markt zu überzeugen, sondern auch die “Dots”, d.h. die Projektion ihrer eigenen zukünftigen Zins-Politik durch die FOMC-Mitglieder.
Noch im September hatten diese für Ende 2023 in der Masse einen Leitzins zwischen 4¼% und 5% erwartet, gestern präsentierten sie weit höhere Prognosen: Fast alle lagen über 5%, teilweise über 5½%.
Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, als Fed-Chairs die Bedeutung der Dots herunterspielten. Nicht so Powell gestern. Der hat sie nachdrücklich betont.
Doch all die Worte und Dots nützen nichts. Der Markt glaubt Powell und dem FOMC nicht. Er glaubt nicht, dass der Fed-Leitzins Ende 2023 tatsächlich so hoch liegen wird. Zwischenzeitig sind 5% durchaus mit der Marktsicht konsistent. Doch für Ende 2023 erwartet der Markt gerade einmal ein Leitzins-Niveau von 4,35% (aus Fed-Funds-Futures nach Ende der Pressekonferenz). Powell Worte haben daran nichts, rein gar nichts geändert. Selten habe ich gesehen, dass der Markt die Message eines Fed-Chair so ostentativ ignoriert.
Das ist beachtlich. Nicht nur, weil die FOMC-Mitglieder gestern den Abstand ihrer Projektion zur Markt-Projektion vergrößert haben. Sondern auch, weil der Zeitraum, innerhalb dessen sich zeigen wird, wer von beiden Recht behält, mit jedem Tag kürzer wird.
Ich kann diejenigen gut verstehen, die der Fed und im Speziellen dem FOMC keine besonders großen prognostischen Fähigkeiten zusprechen. Dass sie den jetzigen Inflationsschock nicht haben kommen sehen, mag verzeihlich sein. Aber erinnern Sie sich noch an die Zeit unmittelbar nach der Großen Rezession von 2008? Damals hat das FOMC ewig lange völlig unrealistische BIP-Pfade und Zinspfade prognostiziert – entgegen aller ökonomischen Theorie.
Im Grunde ist’s diesmal ähnlich. Die Inflations-Swaps preisen auf ein Jahr eine CPI-Inflation von 2,5% ein, während das FOMC für ungefähr denselben Zeitraum eine PCE-Inflation von 3,1% erwartet. In CPI umgerechnet wären das rund 3,7%. Wieder unterscheiden sich also die ökonomischen Prognosen von Markt und FOMC erheblich und folglich auch ihr Zins-Ausblick.
Weil der Markt der Sicht des FOMC ganz und gar nicht folgt, ist nur logisch, dass weder die Dots noch Powells Pressekonferenz nachhaltige Effekte auf die USD-Wechselkurse hatten. EUR-USD, andere USD-Wechselkurse und der USD-Index handelten nach den gestrigen Ereignissen dort, wo sie vorher notierten.
Irgendwann wird sich an der US-Inflationsentwicklung zeigen, wer recht hat. Ist’s die Fed, dürfte der US-Dollar sehr deutlich zulegen. Ist’s der Markt, ist ein schwacher Dollar gerechtfertigt. Wohl sogar etwas schwächer als derweil. Weil’s dann ein USD-bullisches Risiko weniger gibt. Weil unsere Volkswirte eher zur Marktsicht tendieren, erwarte ich für 2023 logischerweise einen moderat schwächeren Greenback.
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Wie wichtig ist die EZB-Sitzung heute?
An dieser Stelle müsste ich Ihnen, liebe Leser, darlegen, welche EUR-relevanten Überraschungen wir heute von der EZB-Entscheidung und -Pressekonferenz erwarten dürfen. Nur ehrlich: Viel habe ich Ihnen da nicht zu sagen.
Klar, EZB-Präsidentin Christine Lagarde ist hin und wieder für eine Überraschung gut. Meistens rudert die EZB allerdings schnell zurück, wenn Lagarde ungewollte Marktreaktionen ausgelöst hat. Solche Episoden dürften interessant sein für kurzfristig orientierte Marktteilnehmer, kaum aber für die Masse unserer Leser.
Nachhaltige Wirkung auf die EUR-Wechselkurse dürften Europas Währungshüter nur dann entfalten, wenn sie neue Einblicke liefern in ihre Reaktionsfunktion. Doch ist das Überraschungspotenzial relativ gering.
Die Inflationsentwicklung gibt es bislang nicht her, dass die EZB in ihrer Inflationsbekämpfung nachlässt. Das könnte man diskutieren, wenn die Gefahr bestünde, dass Europa in eine schwere Gaskrise rutschen könnte. Diese Gefahr ist aber derzeit gering. Daran ändern auch die paar Schneeflocken nichts, die gerade in Teilen des Kontinents fallen.
Nur ganz extreme Tauben im EZB-Rat können derzeit gegen weitere Zinserhöhungen sein. Daran ändert die (voraussichtlich) geringere Geschwindigkeit nichts. Junge oder vergessliche Leser muss ich vielleicht daran erinnern: Auch ein 50-Basispunkte-Schritt (wie er heute wohl kommt) ist eine hohe Zinserhöhungs-Geschwindigkeit!
So geht’s wohl mit Zinserhöhungen erstmal weiter. Deren Ende wird vielleicht gar nicht viel, viel weiter in der Zukunft liegen als das Ende der Fed-Zinserhöhungen. Aber es ist weniger klar auszumachen. Das macht den Euro derzeit so attraktiv, dass er über 1,06 handelt.
Einige Beobachter schreiben bereits, die EZB wäre falkenhafter als die Fed. Das wäre allerdings ein Zustand, den wir schon lange nicht mehr gesehen haben. In meiner Wahrnehmung seit Sommer 2011 nicht mehr.
So weit ist’s vielleicht noch nicht. Lagarde mag uns heute lang und breit über realwirtschaftliche Unsicherheiten etc. vortragen und damit implizit deutlich taubenhafte Töne in ihre Message einbauen. Aber zumindest geht’s in die Richtung. Wenn die Fed früher als die EZB ihre Zinserhöhungen beendet und später – wenn die Fed den Markt auf Zinssenkungen vorbereitet – nichts dergleichen verlauten lässt, ist’s spätestens soweit. Dieser Punkt ist noch nicht erreicht. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass er in absehbarer Zukunft erreicht sein wird, nimmt zu. Das rechtfertigt weitere EUR-Stärke. Wenn nicht heute, dann später.
..und wie wichtig ist QT für den Devisenmarkt?
Ein post scriptum zur EZB darf nicht unter den Tisch fallen: Wenn heute die EZB Details zur Reduktion ihres Wertpapier-Portfolios (aka “quantitative tightening”, QT) bekannt gibt, stellt sich die Frage, ob das für den Devisenmarkt relevant ist. Meine Vermutung ist: es ist nicht nennenswert relevant.
QE (“quantitative easing”) und QT wirkten auf Wechselkurse, als solche Maßnahmen ein Signal für zukünftige Zinspolitik waren. Kündigte eine Zentralbank z.B. QE an, war ziemlich klar, dass sie im Zeitraum, in dem sie Wertpapiere kaufte, kaum ihren Leitzins erhöhen würde. Solche Ankündigungen wirkten also wie eine glaubhafte Form von “forward guidance”.
Heute ist die Situation anders. QE dürfte heute von vielen Zentralbanken kritischer beurteilt werden als in den 2010er Jahren (auch wenn kaum ein Zentralbanker eingestehen mag, dass diese Politik ein Fehler war). Es macht folglich ganz grundsätzlich Sinn, sich peu à peu von den hohen Wertpapierbeständen zu verabschieden. Das heißt aber auch: Signalwirkung für die Zinspolitiken der nächsten Monate hat eine QT-Entscheidung kaum.
Solange die EZB mit ihrem PEPP-Portfolio hinreichend Feuerkraft in petto hält, um etwaigen Stress an den Peripherie-Anleihemärkten zu bekämpfen, dürfte sich kaum ein Devisenhändler um die Details der QT-Ankündigung kümmern.
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Wie definiert die SNB “abschwächen”?
Die SNB dürfte heute ihren Leitzins um 50 Basispunkte auf 1% erhöhen. Wenigstens glauben das fast alle Analysten. Da ist’s sinnvoll, das ebenfalls anzunehmen. Nicht, weil ich keine eigene Meinung hätte (die hab’ ich tendenziell zu oft, scheint mir manchmal). Sondern weil ich mir nicht vorstellen kann, dass die Schweizer Währungshüter den Markt allzu sehr überraschen möchten.
Das haben sie zu Beginn ihres Zinserhöhungszyklus schon zur Genüge getan. So langsam wird’s auch für sie Zeit, in vorhersagbare Bahnen umzuschwenken. Allein schon, weil keine Zentralbank, die nicht extreme Geldpolitik fahren will, jederzeit überraschen kann.
Dennoch ist die SNB-Sitzung nicht uninteressant. Weil man hoffen mag, dass die Direktoriumsmitglieder auf der Pressekonferenz (“Mediengespräch”, wie es bei der SNB vornehmer heißt) einige der Fragen beantworten, die Marktteilnehmer an sie haben dürften.
Da ist zum einen natürlich die Frage nach dem zukünftigen Zinspfad. In der gegenwärtigen Situation mit hohem internationalem Inflationsdruck, aber mit der Aussicht, dass dieser Druck bald deutlich nachlassen könnte, wird sich freilich keine Zentralbank auf irgendeine “forward guidance” einlassen. Der Erkenntnisgewinn auf diesem Felde dürfte folglich mager ausfallen.
Berechtigter finde ich da schon den Informationsbedarf bezüglich der Wechselkurspolitik. “Würde sich der Franken […] abschwächen, würden wir […] Devisenverkäufe erwägen” hieß es in vorangegangenen Mediengesprächen seit Juni, zuletzt am 22. September.
Seitdem hat sich der Franken gegenüber dem Euro fast 4% abgeschwächt. Nun könnte die SNB auf ihren Wechselkursindex (im Grunde ein Maß für den handelsgewichteten Franken) hinweisen. Der hat im Oktober und November kaum nachgegeben. In diesem Sinn hat sich der Franken also nicht nennenswert “abgeschwächt”.
Nur würde man halt gerne wissen, wie die SNB “abschwächen” definiert. Nur wenn das glasklar vom Markt verstanden wird, kann er die Glaubwürdigkeit der SNB-Politik beurteilen. Wenn jedermann raten muss, welche Wechselkurspolitik die SNB uns versprochen hat, kann kein Vertrauen in diese Politik entstehen. Und dann ist sie, so fürchte ich, wenig effektiv.
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